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50mal „Nachts in der Philharmonie“ – Ein Gespräch

Dieses Gespräch mit James Clark (Malibu Times) war eine Überraschung und fand völlig unvorbereitet am 23.Mai 2020 statt

JC: Kai Adomeit, 50 mal „Nachts in der Philharmonie“ – ist jetzt, da die ersten Corona-Lockerungen Hoffnung machen, das Ziel erreicht?

KA: Einerseits ja, andrerseits definitiv nein! Ja, weil ich es geschafft habe, mich seelisch über die bleierne Zeit zu retten, indem ich mich in die Musik und ins Üben gestürzt habe, nein, weil ich Geschmack an dieser Form der musikalischen Selbstdisziplin gefunden habe.

JC: Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen?

KA: Nicht durch Corona! Eine ganz ähnliche Idee hat mich schon seit längerem beschäftigt, aber ich fand nie die Zeit oder die Kraft, wirklich zu beginnen…..

JC: ….weil Sie beruflich so stark eingebunden sind?

KA: Definitiv. Ich habe im letzten Jahr sehr viel im Orchester gespielt, auch Projekte, für die ich sehr viel arbeiten musste und kam einfach nicht dazu, etwas für mich selbst zu tun. Im April diesen Jahres hätte das alles in einigen so anstrengenden wie wundervollen Projekten – unter anderem einer Aufführung des fünften Brandenburgischen Konzerts von Bach auf dem Klavier unter der Leitung von Michael Francis – kulminieren sollen – dann kam Corona……

JC:….das Sie vorausgeahnt haben? Stimmt das?

KA: Natürlich nicht!

Aber Sie wissen ja, dass ich seit vielen Jahren in der Apple-Entwicklergemeinde unterwegs bin. Die Nachrichten, die schon im Dezember aus China kamen, liessen keinen anderen Schluss zu als den, dass da eine potentielle Katastrophe auf uns zurollt.

JC: Und in dem Moment wussten Sie, wie „Nachts in der Philharmonie“ aussehen würde?

KA: Das wusste ich schon lange davor! Seit letztem Herbst wird der philharmonische Probensaal umgebaut und ich hatte immer geplant, während der Auslagerung des Orchesters Musik im Foyer zu machen, um dem Publikum zu signalisieren: „Das Orchester kommt bald zurück und selbst jetzt wird es nicht ganz still im Haus!“ Aber ich kam einfach nicht dazu!

JC: …und dann kam im März die Zwangspause?

KA: Ja. Zwei Wochen lang fühlte ich mich etwa so, als wäre ich in voller Fahrt frontal in eine Betonwand gefahren. Alles war wie mit Blei beschwert. Und dann fielen plötzlich alle Puzzlesteine in meinem Kopf in der richtigen Reihenfolge zusammen!

JC…und Sie fingen an, aufzunehmen!

KA: Fast. Die technischen Voraussetzungen hatte ich schon länger in der Hand, allerdings musste ich das Format noch entwickeln – einige bei Tag aufgenommene Videos waren optisch arg reizlos – und mich um die Instrumente kümmern.

JC: Gibt es denn in der Philharmonie Ludwigshafen keine Flügel?

KA: Oh, ganz im Gegenteil! Aber das Konzertinstrument des Orchesters, ein Steinway-Konzertflügel, war ziemlich verstimmt und mein eigenes Instrument, ein Schimmel K 230, hatte gerade neue, sehr harte Hämmer bekommen.

JC: Das heisst?

KA: Ich musste zunächst einen Stimmer finden, der in der Krise arbeitet, da sowohl mein üblicher wie auch der Stimmer der Philharmonie beide schon rein vom Alter in die Hochrisikogruppe fallen – anfangs galten ja vor allem Männer über 50 als extrem gefährdet, das Risiko geht man nicht ein, nur, weil man gerne seinen Flügel gestimmt hbekommen würde!
Dann musste ich die Hämmer in meinem eigenen Instrument im Schnelldurchgang weichklopfen in der Hoffnung, möglichst bald einen Techniker zu finden, der sich dann mit der Intonation der Hämmer beschäftigen würde.
Darum werden Sie in den ersten 20 Videos feststellen, dass ich nicht nur ein anderes Instrument spiele, sondern dieses auch anfangs noch etwas verstimmt ist.

JC: Sie mussten also mitten in der Krise auch noch investieren?

KA: Das ist das falsche Wort. Je mehr ich spiele, umso häufiger brauche ich natürlich den Stimmer. Und die neuen Hämmer waren schon lange geplant, das „schlechte“ Timing war schlicht purer Zufall.

JC: Ich würde gerne auf das ungewöhnliche Repertoire eingehen, dass Sie aufnehmen. Ich habe sie ja in den USA mehrmals gehört, da ist mir diese Vorliebe für Miniaturen und Raritäten so nicht aufgefallen.

KA: Nun, die Vorliebe für versunkenes Repertoire hatte ich immer! Und was die Miniaturen betrifft: Ich hatte schon lange einen Programmentwurf mit dem Titel „Auch kleine Dinge können uns entzücken!“ aufgeschrieben, jetzt kann ich ihn in ganz anderer Weise umsetzen.
Ausserdem: Ich habe die Zeit nicht, die Videos aufwendig zu schneiden und nachzubearbeiten, normalerweise nehme ich einfach mehrere Takes auf und hoffe, einen verwendbaren dabeizuhaben, was die Länge der Stücke etwas beschneidet, denn wenn Sie jedes Stück in einem Durchgang ohne Inserts aufnehmen, wird schon eine Chopin-Ballade zu einem Marathon – ich arbeite aber daran, versprochen!

JC: Sie machen also die Aufnahmen ganz alleine? Wie darf ich mir das in der praktischen Umsetzung vorstellen?

KA: Nun, für ein Aufnahmeteam fehlt mir wirklich das Geld!
Ich habe ein sehr gutes Mikrofon (Shure MV 88), das ich auf mein iPhone 11 stecke. Dieses kommt mit einem Adapter auf ein Stativ, dann bestimme ich die Perspektive, indem ich den richtigen Abstand zum Flügel suche.

JC: Und dann gehen Sie jeden Abend in die Philharmonie?

KA: Ich gestehe: Ich schummle ein wenig. Alle paar Tage setze ich mich hin und nehme mehrere Stücke auf, das macht auch die Übedisposition einfacher.

JC: Und wie kam es zu Bach?

KA: Ja…….(lange Pause)…..Bach ist für mich der größte Komponist aller Zeiten. Ich liebe seine Musik sehr, vielleicht mehr, als mir selbst bisher klar war.
Aber gleichzeitig ist seine Musik für mich mich einem schweren persönlichen Kummer belegt, einem Schmerz, den ich über viele Jahre mit mir herumgetragen habe.
Nun spiele ich ja, wie Sie wissen, überhaupt nicht mehr von gedruckten Noten, sondern nur noch vom iPad, will sagen, ich habe all meine Noten immer mit mir. Eigentlich wollte ich im Vorgriff auf meinen für die Spielzeit 20/21 geplanten Beethoven-Zyklus einige Stücke von Beethoven heraussuchen, nun liegt Beethoven alphabetisch sehr nahe bei Bach….

JC: ….und da stiessen Sie auf die Inventionen!

KA: Richtig! Vor denen hatte ich schon als Kind einen Heidenrespekt, so sehr, dass ich nie mehr als zwei gelernt habe.

JC: Sie haben nur zwei Inventionen gespielt?

KA: Richtig! Ausserdem eine Partita, zwei Präludien und Fugen, eine halbe französische Suite und die Goldberg-Variationen.

JC: Und warum jetzt ausgerechnet die Inventionen?

KA: Weil die mich zwingen, zu arbeiten! In keinem anderen Werk der Literatur wird soviel innere Selbstdisziplin verlangt, wie in diesen so einfach klingenden Stücken.

JC: Kai Adomeit, wie geht es nun weiter? Mit „Nachts in der Philharmonie“ und allem anderen?

KA: Nun – das Leben geht weiter! Zunächst natürlich einmal mit den nächsten 50 Stücken – aufgenommen habe ich tatsächlich schon bis Nummer 63 – und dann immer weiter. Es gibt nichts gesünderes, als so zum Üben, zum immer neuen Entdecken verpflichtet zu sein!

JC: Und „live“?

KA: Live geht es bald wieder mit den Kollegen von der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz weiter, zunächst nur in kleiner Besetzung, aber hoffentlich eines nicht zu fernen Tages auch wieder alle zusammen – schliesslich muss ich irgendwann auch mal wieder ans Geldverdienen denken!

JC: Das heisst, „Nachts in der Philharmonie“ ist Ihr Privatvergnügen?

KA: Aber ja! Niemals hätte ich ein solches Projekt unter der Vorbedingung des Müssens angefangen, gerade durch die totale Freiheit wurde das erst möglich.
Es ist für mich schon ein großes Privileg, unter diesen luxuriösen Bedingungen arbeiten zu dürfen, ich bin sehr dankbar dafür und geniesse das sehr!

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