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„…steht doch alles schon drin!“

„…steht doch alles schon drin!“ Zum Tod von Siegfried Köhler Er war eine dieser Persönlichkeiten, die zum Kulturleben in Deutschland dazugehörten wie die Noten zur Musik: Das Ehrenmitglied des VDH Siegfried Köhler. Geboren am 30.Juli 1923 in Freiburg im Breisgau, gehörte er noch jener Dirigentengeneration an, die ihr Handwerk von der Pike auf lernte, wenn auch mit einem ganz besonderen instrumentalen Akzent denn anders als die meisten Dirigenten kam er nicht etwa vom Klavier sondern studierte an der Musikhochschule Freiburg – Harfe! An der dortigen Oper war er denn auch bald regelmässig als Aushilfe im Orchestergraben zu erleben, bevor er 1941 als Harfenist und Solorepetitor ans Theater Heilbronn ging. Doch auch an ihm ging der Krieg nicht vorüber, und so tauschte er den Frack 1942 für drei Jahre gegen die Soldatenuniform ein. Aus dem Krieg zurückgekehrt entschied sich Siegfried Köhler für die Dirigentenlaufbahn, wurde 1946 Kapellmeister und 1952 erster Kapellmeister in Freiburg. 1954 verliess er seine Heimat, um als Kapellmeister zunächst nach Düsseldorf, 1957 dann nach Köln zu wechseln. Ab 1962 war er dort als …

Warum Schubert?

Warum Schubert? (Ausschnitte aus einem Gespräch mit dem amerikanischen Musikjournalisten David Richards im Januar 2018) DR: Kai Adomeit, warum Schubert? Warum alles? Und warum auch noch alles 4-händige? KA: Das ist eine merkwürdige Frage, warum denn nicht? Könnte es etwas wichtigeres geben als Schubert? DR: Nun, die Zeit der zyklischen Aufführungen scheint doch vergangen zu sein, wenn man mal Andras Schiff und seine Beethoven-Sonaten beiseite lässt. KA: Ach, wissen Sie, ich habe mich immer schon nicht sehr dafür interessiert, was „man“ macht. Ich spiele Musik ja nicht um des eigenen Vergnügens willen (wenngleich das natürlich auch eine – kleine! – Rolle spielt), sondern weil ich den inneren Drang spüre, mich mit bestimmten Werken und Komponisten auseinanderzusetzen. Schubert war eine logische Fortführung von Haydn und Beethoven… DR: …die sie auch vollständig aufgeführt haben, aber fehlt in der Reihe nicht Mozart? KA: Nun, aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben! Mozart wird bestimmt noch kommen! Aber es ist tatsächlich so, dass der Haydn-Zyklus damals, 2010, aus einer tiefen inneren Krise heraus entstanden ist, in einer Zeit, in der ich …

Mein Lehrer Paul Dan

Heute achtunddreißig Jahr – Mein Lehrer Paul Dan Laudatio zur Verabschiedung von Prof.Paul Dan an der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst Mannheim am 15.10.2018 Als mir mein Lehrer und Freund Paul Dan den Auftrag zu dieser Laudatio antrug, war mir dies große Freude – und als ich so meine Gedanken zu sortieren begann, wurde mir klar, wie lange all das schon zurückreicht, wie unglaublich lange er mich stets in meinen Gedanken begleitet. Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich im folgenden sehr subjektiv werde – ich bin so, ich kann nicht anders! Und das Lügen habe ich leider – oder Gott sei Dank? – nie gelernt…. Zunächst einige biographische Daten: Paul Dan, Jahrgang 1944 war Schüler von Joseph Willer, Ella Philip, Georg Halmos und Florica Musicescu, der Lehrerin von Dinu Lipatti und Radu Lupu und studierte in Klausenburg und Bukarest. 1968 gewann er den Förderpreis des Bach-Wettbewerbs in Leipzig und konnte seine Ausbildung bei Hugo Steurer in München fortsetzen, die er mit Auszeichnung abschloss. Seit 1973 war er Gastprofessor in Tokio, seit 1978 ist …

Bye, Geoffrey!

Geoffrey Tozer: Zum Tod eines grossen Pianisten. Vor kurzem stiess ich in der Online-Ausgabe des „Australian“ auf einen Artikel von Stuart Rintoul: „The life and death of Geoffrey Tozer“.  Tief betroffen las ich den traurigen Nachruf auf einen Mann dem das Leben schwer fiel und auf einen Pianisten, der wohl auch vielen seiner  Kollegen ein Fremder, eine Randerscheinung blieb. Warum? Zunächst die Biographie: Geoffrey Tozer wurde 1954 in Indien geboren, kehrte als vierjähriger in die australische Heimat zurück und zeigte bald ein ungewöhnlich starkes musikalisches Talent. Mit 9 Jahren trat er zum ersten Mal mit einem Orchester auf und führte bereits als zwölfjähriger (!) die 5 Beethoven-Konzerte öffentlich auf. Nach Erfolgen auf internationalen Wettbewerben stürzte er sich ins weltweite Konzertleben und erlebte 1988 mit der Veröffentlichung der Klavierkonzerte von Nikolai Medtner seinen grossen internationalen Durchbruch. Etwa zu dieser Zeit stiess auch ich zum ersten Mal den Namen Geoffrey Tozer und kaufte mir die CDs. Welche Offenbarung! Zum einen natürlich die Entdeckung völlig zu Unrecht vergessener Konzerte der Spätromantik – welche Meisterwerke die 3 Konzerte von Medtner …

Der Kaiser von Atlantis, oder: Ein naiver Mensch?

Der Kaiser von Atlantis, oder: Ein naiver Mensch? Einleitung zur Uraufführung der Dokumentation der szenischen Aufführung in Ludwigshafen von Kai Adomeit Zunächst einige Zitate, in chronologischer Reihenfolge: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ (Bibel, 2. Brief des Paulus an die Thessaloniker) „Wir, wir Deutschen, waren besser als die anderen, freier im Denken, reiner im Fühlen, ruhiger und gerechter im Handeln. Wir, wir Deutschen, waren das wahrhaft auserwählte Volk“ (Viktor Klemperer, „Curriculum vitae“) „Wollt ihr den totalen Krieg?“ (Joseph Goebbels, Sportpalastrede, 1943) “Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.” (Martin Niemöller) „Hätte ich von den Schrecken in den deutschen Konzentrationslagern gewusst, ich hätte Der große Diktator nicht zustande bringen, hätte mich über den mörderischen Wahnsinn der Nazis nicht lustig machen können“ (Charlie Chaplin, Autobiographie) „Wenigstens zwölf Jahre anständig gelebt“ (Hermann …

Die Fünf und die Fünfundneunzig Prozent

Die Fünf und die Fünfundneunzig Prozent Zum Thema Musik und Moral Es ist eine mittlerweile ganz alltägliches Phänomen: Eine der grossen Kulturinstitutionen (Museen, Theater, Orchester…) legt ein ganz besonders „fortschrittliches, modernes“ Programm vor um junge Leute anzusprechen, neue Publikumsschichten zu gewinnen, kurz: Um relevant zu bleiben. Dabei muss die Frage, die wirklich im Raum stehen sollte doch wohl diese sein: Wie ist es möglich, dass all diese Institutionen der Ansicht sind, sie müssten um Relevanz in der heutigen Gesellschaft kämpfen? Wie konnte es soweit kommen, dass antisemitische Rapper, deren Texte aus Beschimpfungen und Hassparolen bestehen Millionen von Fans haben, während diejenigen, die die großen Meisterwerke der Geschichte lebendig und im Bewusstsein halten, immer mehr glauben ins Abseits zu geraten und ihre Existenz rechtfertigen zu müssen? Ein Punkt, an dem anzusetzen ist, ist gewiss dieser: Die immer weiter nachlassende Vermittlung kultureller Bildung durch die Schulen.  Der Musikunterricht in den Schulen ist in den letzten 30 Jahren immer mehr zu einem exotischen Randfach verkommen, dessen Zugehörigkeit zum Bildungskanon immer mehr in Frage gestellt wird, dessen Notwendigkeit in …

Alltag und Ideale

Wenn wir jung sind, brennt unser Geist, brennen unsere Träume und Wünsche mit der Intensität einer Lötlampe. Dann beginnt der Ernst des Lebens: Studium, Praktikum, die erste Stelle und – vielleicht – das erste eigene Unternehmen oder die erste Chefstelle. Wir stürzen uns in die Arbeit und finden uns doch mit einem Mal an einem Punkt, an dem es nicht mehr weitergeht, an dem das Ende aller Ideen gekommen ist und wir nur noch den grauen Alltag zuende bringen, gefangen in den Zwängen des alltäglichen Weiterlebens und der Verantwortung für uns und andere. Doch bleibt eine leere Stelle in uns, eine unerfüllte Sehnsucht, denn wir haben unseren Traum verloren. Wir vergessen vor lauter Alltagsgeschäft, in die Zukunft zu schauen. Wir denken von Tag zu Tag, planen von Monat zu Monat und entwerfen Ideen von Vierteljahr zu Vierteljahr – aber wir vergessen darüber unsere großen Ideen, mit denen wir einst angetreten sind, die Welt zu verändern. Wir sind so sehr damit beschäftigt, Geld zu verdienen um die Büromiete, die Steuern, das nächste Auto zu bezahlen, dass …